Freitag, 1. August 2008

Verunfallungen (Paranoia)

Immerhin konnte ich Tanni davon überzeugen, dass wir mit dem Zug nach Berlin fahren, nicht mit dem Wagen, wie sie es erst vorhatte. Ich hasse es, auf der Autobahn unterwegs zu sein. Monströse LKW-Kolonnen mit übermüdeten Fahrern, Raser, Drängler, Sonntagsfahrer, lauter tickende Zeitbomben, ich rechne dauernd mit Verunfallungen.Im Zug fühle ich mich wohler, wesentlich entspannter. Kann die Zeit nutzen: Lesen, dösen, tagträumen, Musik hören, Mitreisende beobachten. Die Fahrt von Hamm nach Berlin war miserabel: Ein ausgemusterter Interregio der Bahn wurde notfallmässig als Intercity eingesetzt. Die alten, klapprigen Grossraumabteile waren rappelvoll, überbelegt, die Leute standen und hockten auf den Gängen, bis in die Toiletten, allerlei sperrige Gepäckstücke dazwischen, und bei jedem Haltebahnhof ein stolpriges Gedränge unter den ein- und aussteigenden Passagieren. Im Zug war zudem die Klimaanlage ausgefallen, stickig und heiß war's, die Luft ganz schwanger mit Schwaden von Aftershafe, Haarspray und Schweiss. Mir klebten die Klamotten am Körper, ich kriegte kaum Luft. Tanni nahm das alles gelassen: Hörte Musik über ihren MP3-Player und hielt meist die Augen geschlossen. Ich fand da keine Ruhe, war genervt. Und natürlich kann einem auf so einer Fahrt auch ein ICE auf gleichem Gleis entgegenkommen, keine Bremsreaktion ist schnell genug, oder ein Radreifen bricht, und ich dachte an schreckliche Bahnunfälle wie den von Eschede Ende der 90er Jahre, viele Verletzte, über hundert Tote, und ich will ja noch nicht sterben, will nicht zerquetscht werden oder in Einzelteile gerissen werden, schon gar nicht will ich sterben inmitten eines Haufens nach Schweiss stinkender Zeitgenossen. Mir wurde unwohl bei dem Gedanken, am liebsten hätte ich die Notbremse gezogen und wäre ausgestiegen, aber irgendwie musste ich ja nach Berlin kommen. „Oder wir fliegen“, hatte Tanni gesagt, aber Fliegen kommt schon gar nicht in Frage: Ich brauche Valium, um einen Flug zu überstehen. Flugzeuge können immerhin abstürzen. - An jeder Ecke lauert irgendeine lebensgefährliche Unfallgefahr, das kann ganz schnell gehen, manchmal werden flanierende Fussgänger auf dem Gehweg von einem besoffenen Autofahrer plattgemacht. Plötzlich und unerwartet. Das macht mich ganz nervös. Das macht mich mehr als nervös. Will noch kein Ende. Warum soviel Angst vor dem Ende?, fragte ich mich, noch nicht wirklich Leben gehabt? - Also hockte ich angespannt in diesem erbärmlichen Schrottzug, versuchte, mich auf Berlin zu freuen und hoffte, ohne tödliche Havarie nach Hamm zurückzukehren. Würde doch gerne diesem unbekannten Typen nochmal so in die Augen schaun. Strahlendes Graugrün, das zog mich zog mich und in die schwarzen Löcher bin ich reingefallen.

Herzkatheter

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